Als sich das Schuljahr dem Ende näherte, feierte auch das Emsland-Gymnasium seine Ankunft im Heimathafen Dorenkamp mit einem großen Schulfest und anschließender Party in der Sporthalle. Neben vielen Highlights des vielseitigen Programms und neben dem Party- Höhepunkt, dem erfolgreichen Elfmeterschießen gegen Italien, das gemeinsam durchlitten und gefeiert wurde, war ein Höhepunkt des Schulfestes unbestritten die Aufführung „Seitensprünge“ von Lampenfieber spezial unter der Leitung von Daniel Hoffmann in enger Kooperation mit dem Team des Kindergartens „Mobile“ des TV Jahn Rheine. Sie ist es wert, zu Beginn des neuen Schuljahres in Erinnerung gerufen zu werden.
Wer kennt sie nicht, die Neigung eines jeden, sich mit bestimmten Figuren aus Film und Literatur zu identifizieren, sogar dann, wenn diese durchaus fragwürdig sind? Dieser Prozess läuft meist unbewusst ab; manchmal merkt man erst am Ende des Films oder der Lektüre, dass man sogar mit Psychopathen oder Kriminellen mitgefiebert hat. Ob das so richtig sein kann? Dieses anspruchsvollen Themas hat sich ein Literaturkurs der Q1 mit 29 Schülerinnen und Schülern angenommen und dazu ein eigenes Drehbuch verfasst. So wählten sie Sequenzen aus sechs ehemaligen klassischen und modernen LaFi- Stücken und entführten zusammen mit 29 Kindergartenkindern des „Mobile“ die Zuschauer auf eine magische Reise in die Welt dieser Werke, die letztlich zu einer Feier des Lesens geriet. Ausgestattet mit der besonderen Fähigkeit, in die Welt der Literatur zu springen – vgl. Titel „Seitensprünge“ – und passiv an dem Geschehen teilzunehmen, reichte das manchen Protagonisten nicht und sie begannen, diese Welt nach ihren Bedürfnissen zu verändern: Der Doktor von Büchners „Woyzeck“ sollte den armen Soldaten nicht länger erniedrigen und wurde nun seinerseits mittels babylonischer Sprachverwirrung lächerlich gemacht. Dr. Fausts Palaver über Gretchens Frage, ob er denn gläubig sei, stürzte ab in prolliges Kurzdeutsch. Das Liebesgeflüster von Julia und Romeo erstarb in schweigendem Schreiben mittels Smartphones. Lessings Nathan wurde ein übler Streich gespielt, als seine berühmte Ringparabel in ein Märchen der Grimms abglitt, das er gegen seinen Willen absondern musste. Der Versuch, den Entführer eines kleinen Jungen auszutricksen, indem er einfach weggezaubert wurde, schlug fehl, denn jetzt waren die ermittelnden Kommissare wirklich „machtlos“ – so der Titel des Stückes – und konnten das Opfer nicht befreien. Anrührend, wie ein kleiner Junge Werther an die Hand nahm und ihn von seinem Selbstmord abbringen konnte. Aber hatte nicht Goethe selber gesagt: „Werther musste sterben, damit ich leben konnte.“? Hier lag die Botschaft der Theatergruppe: Große Literatur stellt einen absoluten Wert dar, sie darf nicht beliebig nach dem Geschmack der Zeit verändert und angepasst werden. So geriet „Seitensprünge“ zu einer Feier des Lesens. Ein Lied über seinen Wert, geschrieben von Conny Schleck-Hoffmann und eindrucksvoll in einem Duett von Gitarre und Gesang dargeboten, rahmte das Stück ein, ein großes Stück auf großer Bühne mit großem Bühnenbild vor großer Kulisse. Was es zu einem besonderen machte, war die bemerkenswert partnerschaftliche Zusammenarbeit von Klein und Groß; jeder hatte seine Rolle und füllte sie aus. Für dieses Projekt war nicht nur das Ergebnis ein Erfolg, sondern ganz sicher auch der ungewöhnliche Weg der Kooperation von Kindergartenkindern und Oberstufenschülern ein wesentliches Ziel. Dass es erreicht werden konnte, verdankt die Gruppe in hohem Maße dem Engagement der Erzieherinnen des Kindergartens „Mobile“.

Stefan Dehn