1954 – ein gutes Jahr. Die deutsche Nationalmannschaft gewinnt überraschend die Fußballweltmeisterschaft in Bern. Die Nation feiert. Und der Vater des Sieges, Sepp Herberger, offenbart mit wenigen Worten sein Patentrezept: „Das Runde muss ins Eckige!“

1954 – ein gutes Jahr. Stefan Dehn erblickt das Licht der Welt. Eine Weltmeisterschaft gewann er nie, doch viele Herzen mit Sicherheit. Mit wenigen Worten ist sein Patentrezept allerdings schwer zu beschreiben. Er ist ein leidenschaftlicher Grenzgänger. Leidenschaft steckt an und Leidenschaft kann er.

Seit 1981 wirkte er unverkennbar und unverwechselbar am Emsland-Gymnasium Rheine als Lehrer und entpuppte sich dabei des Öfteren als Trainer, Motivator und Entertainer. Nach nun 36 Jahren ist Schluss und der wohlverdiente Ruhestand ruft. „Ich hab`s gerne gemacht. Das war schon ne gute Zeit“, resümiert Stefan Dehn mit Wehmut in der Stimme. Generationen von Schülern erkennen ihn an seinem schlurfenden Gang, den Birkenstocklatschen, ausgewaschenen Jeans und einem Kapuzenpulli. Mit diesem Repertoire betrat er den Klassenraum und war in seinem Element. „Guten Morgen, Leute, auf geht`s! Und nein, kein Kommentar zum Werder-Spiel!“ Die grün-weißen Farben trägt er spätestens seit seiner Kindheit in Bremen im Herzen. Aufgewachsen im mecklenburgischen Güstrow zog er mit seinen Eltern in die Hansestadt. Sein Studium der Sportwissenschaften und Germanistik in Münster bezeichnet er selbst als die schönste Zeit seines Lebens. Das Referendariat in Wuppertal mit den strikten Unterrichtsvorgaben gefiel dem Freiheitsliebenden weniger. Das Eckige sollte in das Runde. Doch sich in einen Rahmen zwängen, das lässt Stefan Dehn nicht freiwillig zu. Er wollte autonom arbeiten, das mache den Beruf schön. „Ich kann das besonders gut, was ich auch gut finde.“ Vom Kollegium und von Schülern wurde er stets geschätzt als ein Mensch mit Ecken und Kanten, der kritisch hinterfragt, sinnvoll provoziert und offen Position bezieht. Seine jahrelange Tätigkeit als SV-Lehrer und als Mitglied des Lehrerrates und der Schulkonferenz belegt diese Anerkennung.

Stefan Dehn ist ein Mensch, der sein Herz für andere und für ein Stück bessere Welt in den Ring wirft, auch auf die Gefahr hin, dass jemand auf dieses tritt. Er ist ein leidenschaftlicher Künstler. Untrennbar mit dem Künstler Dehn verbunden ist das stadtbekannte Theaterprojekt „Lampenfieber“. Die Bilanz liest sich weltmeisterlich. Gemeinsam mit seiner Kollegin Hanneli Podewski gründete er 1995 die Theatergruppe. Seitdem sahen bis heute ca. 40 000 Zuschauer 25 Stücke in 100 Aufführungen. Mehr als 1800 beteiligte Schüler erinnern sich mit Begeisterung an die LaFi-Zeit zurück. 2010 wurde dem Projekt der Kulturpreis der Stadt Rheine verliehen. Mit unbeschreiblichem Engagement, welches nicht selten an die körperlichen und mentalen Grenzen ging, motivierte der liebevoll „Master of Desaster“ genannte Jahr für Jahr neue Schüler und entdeckte bislang unentdeckte Talente: „Ihr könnt so viel. Macht was draus!“ Die Schule mit ihren Strukturen rufe nicht immer das ab, was die Schüler alles können. Lampenfieber hat dies oftmals abgerufen. Mit aktuellen, politischen und provokanten Stücken, die zum Teil aus der Feder Stefan Dehns stammten, sollte Bewusstsein geweckt und Werte vermittelt werden. Dazu musste laut Dehn die heile Welt erst einmal aufgebrochen werden, um dann Alternativen zu präsentieren. Der mündige Mensch war auch das Ziel seines oft unkonventionellen, kreativen und anspruchsvollen Deutschunterrichts. Mit hoher Kompetenz, viel Wissen und einer ordentlichen Portion Humor konnten Schüler von Werken begeistert werden, die zuvor nicht zum Jubeln anregten. Man hört von Schülern, welche in ihren Freistunden freiwillig seinen Unterricht besuchten und von Diskussionen, welche dazu führten, dass niemand im Raum das Klingeln zum Stundenende wahrnahm.  Leidenschaft steckt halt an und Leidenschaft kann er.

Eine weitere Leidenschaft Stefan Dehns ist der Sport. Mangelnde Bewegung wurde mit Sicherheit in seinem Sportunterricht nicht beklagt, eher der fürchterliche Muskelkater nach einer intensiven Einheit. Mit Kopf, Herz und Hand lernen wurde von ihm geradezu verkörpert und gelebt. Der Dehn machte mit und offenbarte vielseitige Talente, eine schier unerschöpfliche Ausdauer und überraschte so manchen Gegenspieler beim Badminton mit seiner Beidhändigkeit. Ein Jahr nach seinem Einstand am Emsland-Gymnasium rief er zudem das Angebot „Rudern“ ins Leben, welches von den Sportkursen zahlreich gewählt und nach den ersten Erfahrungen auf der Ems gerne „Bootssporteliteleistungskurs“ genannt wurde. Stefan Dehn gilt bei den Schülern nicht nur als Wortjongleur, sondern auch als Jongleur im wahrsten Sinne des Wortes. Acht Jahre leitete er die Jonglage- und Einrad-AG „Flash“. Die ansteckende Motivation des AG-Leiters übertrug sich so sehr auf die Schüler, dass selbst die Schulordnung geändert werden musste und das Einradfahren auf den Fluren untersagt wurde. Zahlreiche Fahrten wurden von dem liebevollen Klassenlehrer und Tutor seiner unzählbaren Leistungskurse organisiert. Besonders beliebt und geschätzt wurde dabei das attraktive und bunte kulturelle Programm. Von seiner Wortgewandtheit und Kreativität profitierte seit nunmehr 16 Jahren die Öffentlichkeitsarbeit der Schule. Zeitungsartikel zu schönen und traurigen Anlässen entstammten seiner Feder. Als SV-Lehrer leitete er 19 Jahre lang die Schülerzeitung „Reinfall“, welche sich am Emsland-Gymnasium einen Namen machte.

„Es ist ein Privileg, diesen Beruf zu haben. Er hält einen frisch, geistig und körperlich“, bilanziert Stefan Dehn seine aktive Zeit in der Schule. Den Spaß am Unterrichten hat er in all den Jahren nie verloren und seinen Beruf regelrecht gelebt. Selbst in den Abendstunden und oftmals am Wochenende wurde er am Emsland gesehen. „Zuhause“, stellt er humorvoll fest, „haben sie schon ein Bild von mir aufgestellt.“ Er liebte die Arbeit mit den Schülern und war immer ganz nah an den jungen Menschen. Vor allem schätzten alle seine authentische Art. Bei dem „Master of Desaster“ wurde nicht „Wasser gepredigt und Wein getrunken“. Er legt Wert auf eine regionale, saisonale und biologische Ernährung und etablierte diese Idee mit Schülerprojekten in der Schule. Er legt Wert auf einen bewussten Umgang mit der Umwelt und Natur und fuhr vorbildlich bei Wind und Wetter mit dem Rad zur Arbeit. Ein wenig verrückt und extrem ist er in allem, was er tut, doch gerade das macht ihn aus. Mit einem schelmischen Augenzwinkern bezeichnet er sich selber als „Scharlatan“. Die gesamte Schulgemeinde ist sich allerdings einig, Stefan Dehn hat reichlich Fähigkeiten, welche Generationen von Schülern begeistert haben und dem Emsland-Gymnasium sehr fehlen werden. Er ist ein unersetzbares Unikat, ein Schülermagnet mit viel Feingefühl.

Sepp Herberger prägte ebenfalls den Spruch: „Das Spiel hat 90 Minuten.“ Nach 90 Minuten wird ein Fußballspiel regulär beendet. Auch die Zeit am Emsland findet nun für Stefan Dehn ein Ende. Die Hoffnung auf eine Verlängerung besteht zurecht, denn die Schule und ihre Schüler sind „dehngeschädigt“ und werden sich noch lange Zeit Geschichten erzählen, sich an einen einzigartigen Menschen erinnern und den Kontakt halten. „Die Zeit war irgendwie unheimlich, unheimlich schön. Ich erinnere mich am liebsten an die Momente, in denen ich unbefangen und freundlich von Schülern gegrüßt wurde. Die freundliche Atmosphäre führte dazu, dass die Schule zu einem Stück Heimat für mich wurde“, zieht das Unikat Bilanz. Weltmeisterlich.

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