Wie lässt man Geschichte lebendig werden? Geschichtsunterricht muss Geschichten erzählen, da ist sich Lehrerin Judith Richling vom Emsland-Gymnasium sicher. Um dieser Forderung nachzukommen, sucht sie regelmäßig in der rheinenser Stadtgeschichte nach passenden Anknüpfungspunkten. Heute stand das Thema „Industrialisierung“ in ihrem Grundkurs auf der Tagesordnung und es wurde schnell klar, dass es dazu in Rheine eine ganze Menge Anknüpfungspunkte gibt. So brach ihr Grundkurs in die Innenstadt auf, um die Spuren, die die Industrialisierung in Rheine hinterlassen hat, zu entdecken. Unter der Leitung von Stadtführerin Angelika Pries erkundete die Lerngruppe das Areal rechts der Ems, auf dem heute unter anderem die Stadthalle steht:
Nach einer kurzen Einführung ging es zum Haus Laumann, einer ehemaligen Fabrikantenvilla des Jahres 1925, die sich direkt am Timmermanufer befindet. Rechtsanwalt Manfred Laumann gewährte der Gruppe Einblick in das Gebäude, in dem einst die Tochter des Fabrikanten Timmerman mit ihrem Ehemann lebte. Viele Aspekte sind in diesem Haus erhalten geblieben und zeugen vom Reichtum aus einer vergangenen Zeit: hochwertige Parkettfliesen, eine für damalige Zeiten hochmoderne Staubsaugeranlage und nicht zuletzt ein Spiegel aus Gold, der vermutlich aus der napoleonischen Zeit stammt.

Einen starken Kontrast zum Leben der Fabrikantenfamilie bildete das Leben der Arbeiterinnen und Arbeiter in Rheine. Die Schülergruppe besuchte das heutige Caritasgebäude rechts der Ems, welches einst als Mädchenwohnheim für Arbeiterinnen diente und vom „Orden der göttlichen Vorhersehung“ geleitet wurde. Während Mädchen wie die Tochter des Fabrikanten Timmermann im Sticken unterrichtet wurden, lernten die Arbeiterinnen hier nach ihren Schichten flicken und stopfen.

Auch die Infrastruktur in der Zeit der Industrialisierung war bei diesem Unterrichtsgang ein zentrales Thema: Die Eisenbahn führte ab Mitte des 19. Jahrhunderts in sieben verschiedene Richtungen, die drei Schleusen in Rheine wurden in dieser Zeit zur Schiffbarmachung der Ems gebaut und schließlich entstand der Dortmund-Ems Kanal am Ende des 19. Jahrhunderts. Rheine war als Industriestandort auf eine gute Infrastruktur angewiesen, um Erzeugnisse aus Rheine zu exportieren und Kohle aus dem Ruhrgebiet zur Produktion zu importieren.
Die Industrialisierung hatte einen enormen Bevölkerungsanstieg rechts der Ems zur Folge, so dass 1904 die St. Antonius-Basilika rechts der Ems eingeweiht werden konnte. Auch heute noch sticht sie durch ihren hohen Kirchturm von über 100m aus dem Stadtbild hervor. „Hoch die Schlote, höher der Kirchturm“, unter diesem Leitspruch setzte sich der damalige Dechant Pietz dafür ein, dass die Basilika bis heute die höchste Kirche des Westmünsterlandes ist.
Mit einem herzlichen Dankeschön verabschiedete sich die Schüler:innen von ihrer Stadtführerin. „Das war wirklich eine ganz besondere Geschichtsstunde“, darin waren sich alle einig.